Der Gedächtniskramer

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Viele Kindheits- und Jugenderinnerungen an das Wörth der Nachkriegszeit erweckte Josef Schütz daher zum Leben, als er ein stattliches Kolping-Publikum am Dienstag im Butz-Saal mit auf einen virtuellen Spaziergang durch Ludwig- und Schloss-, Straubinger und Regensburger Straße, Rathaus-, Peters- und Marktplatz nahm. Schon sein letzter Vortrag über alte Wörther Wirtshäuser hatte den Nerv der Kolpingfamilie getroffen.

Johann Festner von Kultur in Wörth assistierte ihm am Computer und warf historische Fotografien und Geschäftsannoncen an die Leinwand. Und der Kolping-Vorsitzende Franz Sagmeister versprach nicht zu viel, als er nach über eineinhalb Jahren Corona-Pause ankündigte: „Wenn wir schon neu anfangen müssen, dann mit was Gescheitem! Mal schauen, was der Sepp diesmal alles auf Lager hat.“

Für die jüngere Generation wäre der Vortrag kaum geeignet gewesen; wer die Stadt erst seit drei oder vier Jahrzehnten erlebt, kann mit Schützens Erinnerungen nur wenig anfangen. Drum dient es vielleicht dem Verständnis, wenn man zunächst das Publikum betrachtet. Überwiegend Rentner waren es, die immer wieder mit „genau“, „ach, stimmt“ und „mei, weißt du noch...“ die alten Namen aufnahmen und an den Tischen im Kleinen ihre eigenen Geschichten weitererinnerten. Gestikulierend, einander zunickend: „Jawohl, so war’s damals.“

Wie ein Haus mehrmals den Namen wechselt

Einige Beispiele seien doch genannt: Das heutige Modehaus Reiger hat Schütz noch unter zwei anderen Inhabern gekannt. Zuerst mit dem Namen Rall und dann Scheglmann. Als der Sepp ein Bursch war, hatte die Reiger Wally, die Mutter von Bert, noch ihr Geschäft für Kinderbekleidung ganz anderswo in der Stadt. Den heutigen Laden der Bäckerei Deubel kannte Schütz noch unter der Ägide der „Brothaus Kathi“, die für mehrere Bäcker weiter drinnen in der Stadt das Brot heraußen am belebten Marktplatz weiterverkaufte. Auch diese Bäckereien zählen zu den alten, aufgegebenen Geschäften: Rothfischer, Baumann, Holzbeck – alles Vergangenheit.

Viele Läden waren Nebenerwerbsgeschäfte

In der Ludwigstraße zählte das Gemischtwarenhaus Schottenloher damals zu den ersten Adressen. Hier gab es fast alles, besonders aber Haushaltswaren. Überhaupt gab es viele kleine Kramerläden, die teils die Frauen von Handwerkern führten. Die Dengler Theres war eigentlich Glaserin, verkaufte aber auch Krippenfiguren. Die Zeininger Theres hatte eine Seilerei, verkaufte aber auch Petroleum aus einem großen Fass – viele konnten sich das elektrische Licht, das es seit 1910 gab, einfach nicht leisten.V

on den Kramerläden haben wenige überlebt. Das Geschäft mit Eisen und Haushaltswaren sowie Geschenkartikeln hat erfolgreich die Familie Probst übernommen, während Schütz noch den alten Roßschmied Karl Probst kannte, dem er selber noch bei der Arbeit zusehen durfte. Ein tatsächlich überlebendes Relikt dieser Zeit ist der noch heute existierende Haushaltswarenladen von Fritz Geier in der Taxisstraße.

Was war nochmal eine Traglerin?

Überhaupt, die alten Berufe: Glaser und Seiler kennt man ja, aber eine Traglerin? Die Simml Mare, erinnert sich Schütz, war so eine Art frühe Logistikunternehmerin, eine Trägerin. Fast alle Familien hatten früher noch eigene Hühner. Und das Eiergeld war für so manche Hausfrau ein wichtiger Teil des Haushaltseinkommens. Die Simml Mare vom Petersplatz sammelte die Eier und andere häusliche Produkte ein und verkaufte sie weiter.

An der „Reibn“ der Regensburger Straße beim Krankenhaus gab es auch noch mehrere Geschäfte: Schütz erzählte vom Geser Karl, einem seiner Meinung nach hervorragenden Konditor, der dort ein Café erster Güte betrieb. Beim „Böhler“ gab es dagegen Blumen und Geschenke, was man halt sonst so für Krankenhausbesuche brauchte. Auch in den Ortsteilen gab es früher noch Kramerläden, zumeist in den Wirtshäusern wie in Tiefenthal oder Oberachdorf. „Da haben die Leute dann das gekauft, was sie in der Stadt vergessen haben“, witzelte Schütz. In Kiefenholz im Gasthaus August Peutl hat sich übrigens so ein Geschäft bis heute erhalten.

Mit vielen Anekdoten schmückte Schütz seine Erinnerungen aus, etwa wie der frühere Brauereibesitzer Pittinger seine Freude daran hatte, beim Bader Kerscher den Leuten einen Bären aufzubinden. Oder wie der Bäcker Rothfischer, der sich auch gut mit moderner Technik auskannte, einmal dem Aumer Sepp gefälschte Radionachrichten vorspielte, dass der angeblich wertvolle Zuckerrüben an die Kühe verfüttert habe.Mit etwas Gesang, reichlich Gelächter und einem hohen Geräuschpegel – an wirklich jedem Tisch wurde angeregt nachgedacht und erzählt – endete die Versammlung.

[Text Franz Nopper, Donau-Post; Bild Anton Haag]

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