Schlossfestspiel: Differenzierte Charakterstudie

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Und dann steigt der Pföderl Sepp noch mal hinauf auf den Berg, zu seinem einstigen Freund, dem er in den Rücken geschossen hat, aus dem Hinterhalt. Georg Jennerwein, genannt Girgl, lebt noch, schwer verletzt. Mit wispernder Stimme bittet er um Hilfe. Doch der Jäger wird dem angeschossenen Wilderer nicht mehr helfen. Er greift sich dessen Jagdbüchse und versetzt ihm einen zweiten, einen tödlichen Schuss. Es soll wie ein Suizid aussehen, um den feigen Mord zu verschleiern.

Ein Trommelschlag ertönt, dumpf. Er symbolisiert den Schuss.

Der Schuss markiert den Gipfel einer Tragödie. Das Ende einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die Freunde waren, Kameraden – im Deutsch-Französischen Krieg hat der Pföderl dem Jennerwein das Leben gerettet. Und die zu Todfeinden wurden, voller Gift und Galle.

Die Schauspieler Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun und Stefan Murr, bekannt aus dem Fernsehen und Kino, aus namhaften Filmen und Serien, erzählen die Geschichte vom Jennerwein am Samstagabend im Wörther Schlosshof. Zu dritt sitzen sie an einem Holztisch auf der Bühne, drei Stühle, im Hintergrund bläulich schimmernde Scheinwerfer. Die beiden Männer tragen Trachtenjanker, Bittenbinder hat ein weinrotes Kleid an.

Unter freiem Himmel lassen sie die Wilderergeschichte aufleben, sie präsentieren ein Hörspiel, das Murr und Braun geschrieben haben, „bei uns daheim im Wohnzimmer“, wie Bittenbinder später im Interview mit unserer Redaktion (siehe links) erzählen wird. Und das Teil der Wörther Schlossfestspiele ist.

Die Fernsehschauspieler schlüpfen abwechselnd in verschiedene Sprechrollen. Murr mimt den Jennerwein Girgl, Braun den Pföderl Sepp. Bittenbinder gibt das Agerl, eine fesche Almbäuerin, auf die der Pföderl ein Auge geworfen hat, in die er schwer verliebt ist, die irgendwie auch ein ganz kleines bisserl darauf anspringt und ihm zaghafte Signale sendet – aber dann halt doch wieder nicht, weil sie dem Jennerwein verfällt. Voll und ganz. Der Pföderl steht ziemlich blöd da.

Neben diesem Trio, das in eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung schlittert, vergiftet von Missgunst und rasender Eifersucht, sprechen die Schauspieler viele weitere Rollen. Mal einen Offizier, polternd und donnernd. Mal die Wirtin, die dem Jennerwein schöne Augen macht. Mal dessen Mutter, die nicht weiß, wie sie die Familie durchbringen soll, nachdem Jäger ihren wildernden Mann erschossen haben.

Die drei sprechen ihre Rollen variationsreich, kraftvoll, auf gut Bairisch. Mit ihren Gesten und Gesichtsausdrücken unterstreichen sie jedes Wort. Authentisch wirkt das, natürlich, als würde man dabeistehen und beiläufig zuhören. Die Schauspieler verstehen es meisterhaft, beim Publikum im Schlosshof das Kopfkino in Gang zu setzen.

Komplett wird das Hörspiel aber erst durch die vier Musiker, die im Hintergrund sitzen: Das Art Ensemble of Passau setzt sich zusammen aus Leo Gmelch (Tuba, Posaune), Franz Weyerer (Trompete), Yogo Pausch (Schlagwerk) und Florian Burgmayr (Komposition, Akkordeon, Tenorhorn). Sie begleiten und unterstreichen auf der Bühne das gesprochene Wort – mit einer hochklassigen Symbiose: Sie präsentieren traditionelle bayerische Musik, rhythmisch vom Zwiefachen bis zum Walzer. Sie bauen Gstanzl ein. Und sie reichern das Ganze mit Elementen aus dem Jazz an.

Lichtfigur mit Schattenseiten

Yogo Pausch am Schlagwerk ist auch für die Geräusche zuständig. Mit seinen Trommelstöcken ahmt er zum Beispiel das Grollen von Kanonen und Gewehren nach. Er verwendet eine ganze Reihe von weiteren Instrumenten und Hilfsmitteln, für die es in der deutschen Sprache vermutlich gar keine Begriffe gibt. Mit diesen Instrumenten imitiert er dann Hundegebell, Laufschritte oder Goaßlschnalzer.

Die verbürgten Eckdaten, der historische Rahmen, das alles stimmt im Hörspiel. Doch wie der Jennerwein (1849 bis 1877) wirklich war, als Mensch, das wissen Braun und Murr natürlich nicht, sie waren ja nicht dabei. Für ihr Hörspiel haben sie sich überlegt, wie das damals gewesen sein könnte. Herausgekommen ist eine differenzierte Charakterstudie, die sich abhebt von klassischen Wilderer-Gsangln und Wilderer-Gschichtn, die man so kennt. In volkstümlichen Liedern und Erzählungen ist der Wilderer ja immer der strahlende Held, der Brave, der uneingeschränkt Bewundernswerte. Ein bayerischer Robin Hood, der von den Reichen nimmt, um den Armen zu geben.

Auch Murr stellt diese hellen Seiten des Volkshelden dar. Zeigt ihn als aufrechten Mann mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, der es nicht einsieht, sich von Kronenträgern in ihren Palästen aufs Schlachtfeld schicken zu lassen. Der es nicht akzeptieren mag, dass die Bevölkerung hungert und nicht jagen darf, während sich die Großkopferten ihre Wampen vollhauen. Der Jennerwein zeigt sich auf der Bühne als charmanter, gewitzter Typ, der das ganze Wirtshaus unterhält, der die Jäger tratzt und alle für sich einnimmt, vor allem die Frauen.

Aber der Jennerwein erscheint eben – und das ist das Wohltuende – nicht nur als Idol, sondern als Mensch. Mit Ecken und Kanten, Fehlern und Schwächen. Eine Lichtgestalt mit Schattenseiten, die andere auch kränkt und verletzt. Wie das halt so ist im wahren Leben.

Die Wirtin, seine Geliebte, serviert er eiskalt ab, lässt sie alleine mit seinem Kind. Den Pföderl Sepp demütigt er vor aller Augen, provoziert ihn bis aufs Blut.

Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß in dieser Geschichte.

Am Ende ist das Leben aller Beteiligten beendet (Jennerwein, ermordet) oder verpfuscht (Pföderl, geächtet, Alkoholiker). Das Publikum im Schlosshof applaudiert lange.

[Text: Simon Stadler, Donau-Post; Bild: Johann Festner]

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