Eine kleine Stadt liest in Kiefenholz

Eingetragen am

Eine kleine Stadt liest in Kiefenholz

Im Hof der Familie Mandlik las Thomas Muggenthaler aus seinen Büchern "Ich lege mich in und sterbe" und "Wir hatten keine Jugend". Die von Muggenthaler literarisch behandelten Themen KZ und Zwangsarbeit im Naziregime wurden vor allem durch die Erinnerungen von anwesenden Zeitzeugen lebendig.

„Es kommt nicht oft vor, dass Recherchen zu diesen Themen vor Ort auf so positive Reaktionen stoßen“, freute sich Autor Thomas Muggenthaler über die große Resonanz auf die Veranstaltung. Dass vor allem die Konfrontation mit der Beschäftigung osteuropäischer Zwangsarbeiter in Bayern teilweise als unangenehm empfunden wird, dürfte an ihrer weiten Verbreitung liegen: „Beinahe jeder Produzierende hatte Zwangsarbeiter, die Männer waren ja alle an der Front“, so Muggenthaler. „Das KZ ist die radikalste Form der Zwangsarbeit, aber nicht die einzige“, rückte der Autor das Schicksal der in Landwirtschaften, Klöstern und Industriebetrieben eingesetzten Arbeiter ins Zentrum.

Die im Jahr 2002 wiederaufgenommene Frage, ob Zwangsarbeiter für ihre Tätigkeit zur Zeit des 2. Weltkriegs entschädigt werden sollten, hatte der Rundfunkjournalist Thomas Muggenthaler zum Anlass einer Recherche genommen. Als Ergebnis präsentierte Muggenthaler sein Buch „Wir hatten keine Jugend“, indem er 30 Zwangsarbeiter aus Osteuropa, die in Bayern eingesetzt waren, porträtiert. Unter den nachempfundenen Schicksalen befindet sich auch das von Stefan Spizak. Der Pole wurde als 16-Jähriger in Bochnia beim Einkaufen in einer Apotheke verhaftet und wenig später nach Regensburg gebracht. Stefan Spizak arbeitete schließlich bei der Bäuerin Maria Haslbeck in Kiefenholz. „Sie war sehr gut zu mir“, betonte Spizak, doch die Obrigkeit machte den Zwangsarbeitern das Leben zunehmend schwerer indem nach dem gemeinsamen Essen mit den Deutschen auch der Kirchgang verboten wurde. In Stefan Spizaks Erinnerungen tauchen immer wieder auch positive Begegnungen mit Deutschen auf. Von einem Mut machenden Pfarrer war ebenso die Rede wie von einem den Osteuropäern wohlgesinnten Lageraufseher. Rückblickend bilanziert Stefan Spizak, dass nicht die Zwangsarbeit an sich das Schlimmste für ihn gewesen sei, sondern vielmehr die Art und Weise der Festnahme durch die Deutschen als er für seine Mutter Medikamente kaufen wollte: „Sie hätte sterben können“, wird Spizak im Buch zitiert.

Jolanda Mandlik, die Enkelin von Maria Haslbeck, lebt noch heute auf dem Hof. Sie arbeitete als junges Mädchen zusammen mit Stefan Spizak in der Landwirtschaft. Als Zeitzeugin konnte sie den Anwesenden am Sonntagabend einige Anekdoten aus den Weltkriegsjahren berichten. Auch der Bruder des bereits verstorbenen Wörther Pfarrers Josef Urban war nach Kiefenholz gekommen. Er hatte als Erntehelfer ebenfalls mit Spizak zusammengearbeitet. Besonders im Gedächtnis geblieben war Urban die allgegenwärtige Angst der Zwangsarbeiter, von ihren Arbeitgebern wegen angeblicher Faulheit angeklagt und als Konsequenz geschlagen zu werden. In Erinnerung an die Kriegsjahre und die die damit einhergehenden, schweren Schicksale bemerkte Urban: „Solche Veranstaltungen, die an diese Zeit erinnern, sind heute sehr wichtig“.

[Text und Bild 1 und 2: Wörther Anzeiger, Sonja Heitzer; Bild 3: Donau-Post, Beate Geier]

Zurück