Eine kleine Stadt liest in Weihern

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Eine kleine Stadt liest in Weihern

Ein besonderes Erlebnis in der alten Heimat mit Pfarrer Lorenz Schnitt und Lehrer Anton Schlicksbier.

Erich Schöberl hat sie auf Anhieb erkannt. So sehr hat sich Waltraud Mayr offensichtlich nicht verändert, die seit beinahe fünf Jahrzehnten in Australien lebt und mit ihrem Sohn Danny gerade einige Tage in ihrer nach wie vor vertrauten Heimat verbringt, in der Umgebung, die ihr ans Herz gewachsen ist, in der sie die Schule besucht hat, zur Kirche ging und bleibende Verbindungen entstanden sind. Die Wurzeln sind fest und stark. Die Rückblenden von Pfarrer Lorenz Schnitt, Lehrer Anton Schlicksbier und Stadtrat Sepp Heitzer beim Kulturabend der Stadt am Mittwoch im Gasthaus am See beschrieben auch ihre Vergangenheit. Die Geschichten, Berichte und Anekdoten belebten einen Augenblick die Erinnerung an Kindheit und Jugend, an die Erlebnisse, Ereignisse und Lebensverhältnisse im Dorf.

Wie es der Zufall so will: Das Angebot, das gut und gern 200 Personen mehr Besucher "als a Houzad" (Pfarrer Schnitt) verzeichnete, kam für Waltraud Mayr wirklich zum rechten Zeitpunkt. Den Abend empfand sie jedenfalls als echte Bereicherung ihrer Europareise[...]

Erstes "Aha-Erlebnis"

Die fesselnden Vorträge eröffnete [...] am Vorabend seines 71. Geburtstages der Seelsorger. Das "erste Aha-Erlebnis" von Pfarrer Lorenz Schnitt, 1938 im Forsthaus geboren, war das elektrische Licht, das Petroleumlampe und Kerzen ersetzte. Geärgert habe ihn öfter das Telefon, zumal ihn dieser Fortschritt mit einigen Aufgaben belastete, die er nicht so gerne erfüllte. Etwa die Übermittlung von Nachrichten für einen Bauern in Oberroith: "Der Lutz Laumer lässt ausrichten, ihr kennt´s d´Sau obholn...!"

Tiefflieger und Todesmarsch

Bei einer "Fraaln Lehrerin" begann 1944 seine schulische Ausbildung. Unvergessliche Impressionen verbinden sich mit jenen Jahren: die Tiefflieger etwa, die kurz vor Kriegsende Angst und Schrecken verbreiten, die Furcht vor den "Russen" (schwarze Käfer, die sich gerne in der Nähe des wärmenden Ofens aufhielten) oder die Ankunft der amerikanischen Soldaten mit den schwarzen Gesichtern, die einige Bewohner tatsächlich für Tarnung hielten. Eingeprägt hat sich ihm nicht zuletzt der Todesmarsch der Flossenbürger KZ-Häftlinge und das Bild einiger von SS-Schergen gehängten Menschen mit dem Schild "Fröhliche Weihnachten".

Nicht in Vergessenheit geraten sind die Jagdgäste im Forsthaus, unter denen sich einmal sogar Erbprinz Franz-Josef befunden habe, die Freude über die ersten Skier, zu denen ihm Jakob Dummer verholfen habe, die festliche Atmosphäre bei den Christmetten in der kleinen Kirche, die "bestimmt so schön wie im Regensburger Dom" gewesen seien, und die Erstkommunion, vor der das Problem der Bekleidung zu lösen war. Der dunkelblaue Anzug entstand seiner Darstellung nach aus einem braunen Kostüm der Mutter. "Der Stoff wurde eingefärbt und hat gereicht", schilderte der gute Erzähler diese Episode mit dem Nebensatz, dass die braune Farbe an einer Stelle doch noch erkennbar gewesen sei.

"Wie in einer Familie..."

Die Umstände in der einklassigen Schule schilderte Anton Schlicksbier, der in den Pausen zudem die Drehorgel bediente. Im Oktober 1919 wurde der Unterrichtsbetrieb aufgenommen und im Juli 1967 eingestellt. Zwei Jahre später besiegelte ein Brand das Schicksal des Gebäudes, das zu der Zeit schon als Wirtshaus mit dem Namen "Zum Kuckuck" Verwendung gefunden hatte. "Die Kinder", bekräftigte der letzte Lehrer der Einrichtung, "haben eine große Gemeinschaft gebildet, sie sind aufgewachsen wie in einer Familie."Die Fotos aus dem Archiv des Pädagogen im Ruhestand sind ein Spiegelbild jener Tage. Zeitdokumente sind diese Momentaufnahmen mittlerweile, samt und sonders eine Referenz an das Landleben, an die Landschaft und die Menschen, zu denen Anton Schlicksbier, der in der Gesellschaft des Dorfes sehr schnell das Vertrauen gewonnen hatte. Die Weiherer haben ihn sogar in Schutz genommen, wenn die Kritik von Leonhard Deininger - eher die Regel denn die rühmliche Ausnahme - nach der Veröffentlichung von Leserbriefen in der Donau-Post wieder besonders heftig auszufallen drohte. Schlicksbier zitierte den Landwirt Kiesl, der dem Landkreis-Chef bei einer Versammlung Einhalt gebot: "Merken´s Eahna oans: An Landrat und an Buagamoasta kemma wähln, an Pfoarer und an Lehra meama nehma weassan!"

[Sepp Raith, Donau-Post]

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