Eine kleine Stadt liest in Zinzendorf

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Eine kleine Stadt liest in Zinzendorf

Gemäß dem Titel der Veranstaltung „Da fallt mia grod ei…“ standen bei der „Eine kleine Stadt liest“ - Aktion in Zinzendorf [...] die Erinnerung an vergangene Tage im Zentrum. Die zahlreichen Besucher erlebten die „alte Zeit“ mit allen Sinnen: Richard Schwesinger hatte eine Fotoshow zu den Themen Krieg, Not, Wiederaufbau und beginnender Wohlstand in und um Zinzendorf vorbereitet, Franz Griesbeck spielte auf der Diatonischen und Anneliese Beil hatte eine „Ei’grierde“ Suppe zubereitet.

Ein Gemeinschaftsprojekt des Wörther Buchladens und K.i.W.

[...] Richard Schwesinger hatte vorab eine stattliche Sammlung älterer Fotoaufnahmen von Zinzendorfer Einwohnern und Bauten zusammengetragen. Als ältestes Dokument präsentierte es im Gasthaus Beil einen Ortsplan aus dem Jahr 1815. Als erste thematische Überschrift hatte Schwesinger die Landwirtschaft gewählt. Aufnahmen von Ochsengespannen und längst ausgedienten Gerätschaften wurden ebenso gezeigt wie Portraitbilder der Zinzendorfer Familien Hahn, Hirsch und Soller. Richard Schwesinger hatte in Kooperation mit älteren Einwohnern Vorarbeit geleistet und beispielsweise auf dem Gruppenbild der Hochzeit von Alfons Lutz und Anna Hirsch um die 80 Prozent der Abgebildeten identifiziert. Auch Aufnahmen von der Fahnenweihe 1931 und diversen Maibaumaufstellen versuchte man zu personifizieren. Hier griffen Schwesinger neben verschieden älteren Zinzendorfern vor allem Karl Schöntag und Toni Wiesbeck unter die Arme. Die beiden Zeitzeugen waren aus Karlsruhe und Riekofen angereist und brachten ihre Erinnerungen ein. Besonders eingängig gestalteten sich ihre Schilderungen des Familienalltags in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So hatte Toni Wiesbeck als Zweijähriger das Zinzendorfer Wirtshaus durch die falsche Türe verlassen und irrte orientierungslos durch den Wald, wo er schließlich einschlief. Von heimkehrenden Beerensammlern wurde der Junge später entdeckt. Im Zustand von dauerhafter und intensiver Arbeitsbelastung war der Familie das Fehlen des Sprösslings tagsüber nicht aufgefallen.

Im Zusammenhang mit dem damals nicht selten auftretenden Phänomen des Kindstods berichtete Toni Wiesbeck von einer Begebenheit aus seiner Jugend: So war er beauftragt worden, den Leichnam eines verstorbenen Babys in einer Holzkiste bis nach Pondorf zu tragen. Unterwegs fielen im wegen des auf Dauer doch immensen Gewichts fast die Arme ab, doch als er den Lohn von 3 Mark im Empfang nehmen durfte, bot er sich gerne an: „Also, wenns wieder amol was ham…“

Auch erinnerte man sich an das Reichsarbeitsdienstlager in Zinzendorf. Durch die vormilitärische Einrichtung waren junge Männer bei Bauern sowie beim Damm- und Wasserleitungsbau im Dorf beschäftigt. Nach der Veranstaltung in Kiefenholz wurde darüber hinaus auch in Zinzendorf die Zwangsarbeiterschaft im Dritten Reich thematisiert. Im Dorf selbst seien die Nichtdeutschen durchgehend gut behandelt worden. Natürlich konnte man das Zusammenleben als eine Art Zweckgemeinschaft betrachten. So schwiegen die Zwangsarbeiter beispielsweise als Dank für den fairen Umgang wenn die Bauern schwarz schlachteten.

Bei den Besuchern kamen vor allem auch die „Vorher – Nachher“ – Wechsel in Richard Schwesingers Präsentation sehr gut an. So konnten nicht nur verschiedene Wohngebäude im Zustand von gestern und heute verglichen werden sondern auch zeitlich unterschiedliche Aufnahmen von der Dorfkirche. Als die Nachkriegszeit angeschnitten wurde, zeigten die Bilder nicht nur mehr motorisierte Fahrzeuge sondern auch eine größere Zahl an noch bekannten Gesichtern.

Zwischen den Bilderreihen stimmte Musikant Franz Griesbeck mit den Besuchern einige Stücke an. Neben „Kein schöner Land“ und „Schön ist die Jugend“ durfte natürlich auch „Mir san vom Woid dahoam“ nicht fehlen. [...]

Im Namen der Dorfgemeinschaft bedankte sich Stadtrat Franz Beil mit einem Präsent bei Hildegard Schindler und Richard Schwesinger für den gelungenen Abend. Abschließend wurde eine „Ei’grierde“ Suppe angeboten, die älteren Generationen vielerorts ein tägliches Brot war. Probiert wurde das Mehl-Milch Gemisch allemal gerne, wissend, dass einen, im Gegensatz zu den alten Bauerfamilien, in den nächsten Tagen andere Speisen erwarten.

[Text:Donau-Post, Sonja Heitzer]

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