Eine kleine Stadt liest - Jung befragt Alt

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Eine kleine Stadt liest - Jung befragt Alt

Zu einer Begegnung der Generationen im Plauderton avancierte die sonntägliche Veranstaltung der "Eine kleine Stadt liest" - Reihe. Siegmund Rösch, Josef Schütz und Franz Senft stellten sich den Fragen von sieben Jugendlichen zum Leben in den 40er und 50er

Ein Gemeinschaftsprojekt des Wörther Buchladens und K.i.W.

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“, zitierte Ludwig Schindler zu Beginn der Veranstaltung Richard von Weizsäcker. Getreu dem Rat des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten stand das Leben in den Kriegs- und Nachkriegsjahren im Zentrum der Veranstaltung. Mit Siegmund Rösch, Josef Schütz und Franz Senft konnten drei Zeitzeugen gewonnen werden, die aus dem gesellschaftlichen, geschäftlichen und politischen Leben vergangener Tage berichteten.

Als sehr ergiebig erwies sich in diesem Zusammenhang der Jugendleseworkshop von Doris Vogl und Anke Urban. Die Teilnehmer der parallel zu „Eine kleine Stadt liest“ laufenden Aktion hatten Fragen an die älteren Bürger vorbereitet. Zum einen gewannen die sieben Jugendlichen so einen lebensnahen und intensiven Einblick in den Lebensalltag der Großelterngeneration. Zum anderen entwickelte sich im Pfarrheim auf der Basis der Fragen der Jugendlichen eine gemütliche Erzählatmosphäre.

Johann Schütz berichtete von seiner ersten Begegnung mit einem Dunkelhäutigen, die er im Zuge der amerikanischen Invasion gegen Ende des 2. Weltkriegs erlebte. Als Angehörige des unterlegenen Deutschlands musste man sich die Beschlagnahmung von Schlafplätzen und die Zerstörung von Hofeinrichtungen ohne weiteres gefallen lassen.

Franz Senft erinnerte sich an seine Zeit in englischer Gefangenschaft, die von Hunger geprägt war. „Brennnessel und übrige Ähren waren bei den Gefangenen sehr begehrt“, berichtete er von der Not, die durch Läuseplagen weiter intensiviert wurde. Seine Heimkehr empfand er freilich als große Befreiung: „Ich war so froh, als ich unser Schloss wieder gesehen hab!“. Bei einem zufälligen Besuch in Regensburg erlebte Franz Senft vom Dreifaltigkeitsberg aus auch die Angriffe aus die Messerschmitt-Werke mit. Diese produzierten Jagdflugzeuge und wurden so zum Zielobjekt gegnerischer Angriffe.

Im ausgehenden 2. Weltkrieg konnten die Wörther Bürger die Grausamkeit des NZ-Regimes mit eigenen Augen erleben: Von Flossenbürg aus trieben die Nazis KZ-Häftlinge unter anderem auch durch die Ludwigsstraße. Siegmund Rösch sprach von „mageren Gestalten“ und einem „fürchterlichen Anblick“.

Angesprochen wurde auch die kampflose Übergabe der Stadt Wörth an die US-Streitkräfte. Der Mut des Wörthers Alois Schmelz, der den amerikanischen Soldaten entgegenradelte, verhinderte die Zerstörung der Stadt. Schließlich hatten die GIs am Schloss ausharrende SS-Soldaten vermutet.

So glimpflich verliefen die letzten Kriegstage nicht in jedem Ort: Pfarrer Lorenz Schnitt erzählte von einer traurigen Begebenheit aus Kötzting. Drei Bürger, die ihr Dorf ebenfalls kampflos an die US-Army übergeben wollten, wurden von der SS erschossen.

Franz Senft wartete ferner mit Geschichten aus der Gründungszeit seiner Ziegelei aus. „Der Bedarf am Baustoff Ziegel war vor allem in der Nachkriegszeit da“, so Senft, der zur Erläuterung einige Anschauungsobjekte mitgebracht hatte.

Leni Büchele berichtete daneben aus den ersten Jahren ihres Kino-Betriebs. Ihr Vater erhielt von der amerikanischen Besatzungsmacht keine Genehmigung für die Durchführung der Lichtspiele, war er doch Mitglied der NSKK gewesen. Dass KK lediglich „Kraftfahrkorps“ bedeutete, war nicht von Belang: „Bei NS sahen die Amis rot“. So sprang Leni Büchele als gemeldete Betreiberin ein und war von Anfang an eng mit dem Kino verbunden.

Als Bäcker erinnerte sich Siegmund Rösch an die Lebensmittelknappheit, auch in der Nachkriegszeit. Mit Kartoffeln wurde ebenso gebacken wie mit Mais: „Was eben da war“, so Rösch. Dass das Kartoffelbrot und ähnliche Kreationen derzeit wieder in aller Munde sind, überrascht Rösch nicht: „Es kommt eben alles wieder“. [...]

Ergänzt wurde die Veranstaltung zum einen durch die Bilder von Ludwig Schindler. Sie erzählen von historischen Ereignissen ebenso wie vom Wörther Wahrzeichen, dem Schloss, im Wandel der Zeit. Zum anderen verkauften in einer Veranstaltungspause Schüler der Hauptschule Wörth nach Uwe Timms „Die Entdeckung der Currywurst“ zubereitete Currywürste. Die Besucher ließen sich die Schmankerl gerne schmecken.

Der Veranstaltung eine besondere Note verliehen auch die Musiker Mark Bender und Wolfgang Bernreuther. Entgegen ihren angestammten Genres bot das Duo Schlagermusik aus der diskutierten Zeit. Zu den Klängen von Freddy Quinn und Co. fiel dem Trio Rösch, Schütz und Senft das Erinnern und Erzählen noch leichter.

[Text und Bilder: Wörther Anzeiger, Sonja Heitzer]

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