Kindheitserinnerungen von Sepp "Base" Schindler - ausverkauft!
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Heitere Heimatkunde in randvoller Wirtsstube.
Schlimme Jahre sind überstanden. Die junge Bundesrepublik kommt Mitte der fünfziger Jahre nach der Tragödie des Weltkrieges allmählich zur Besinnung. Sie atmet auf, orientiert sich neu, schaut mit frischem Selbstbewusstsein nach vorne, ungern zurück. Die Zukunft ist ihr Ziel, nicht die offene und kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Menschen sind fleißig, bescheiden und sparsam, die Landwirtschaft, wichtigste und sicherste Einnahmequelle, noch bäuerlich. In diesem sozialen Umfeld wächst Sepp Schindler auf, der bei seinem Beitrag zu [...] "Eine kleine Stadt liest" zu den Wurzeln seiner Kindheit zurückkehrt. Seine zweistündige Heimatkunde, durchzogen mit amüsanten Anekdoten und Episoden, immer unterhaltsam und fesselnd, nie langweilig oder gar ermüdend, ist vom Anfang bis zum Ende ein herzlicher Dank an das Elternhaus und eine aufrichtige Hommage an das frühere Wörth, wo sich allein in der Taxisstraße noch sieben Höfe und sieben Misthaufen befinden.
"Biber" und "Bäpp"
Diese ausführliche Nachbetrachtung [...] würdigt ein Leben, in dem die Kinder geschussert, "Schundheftl" gelesen und das Einmaleins noch in einer großen Klassengemeinschaft gelernt haben.
Die biografische Bilanz des Oberstudienrats, Jahrgang 1949, ist zudem eine einzige Lobrede auf seine Freunde, auf die "treuen Helden", wie er sie nennt, die samt und sonders Spitznamen tragen: "Biber" "Bäpp", und "Bigge", "Ehm" und "Mamp". Zu den Mädeln geht nicht nur der gescheite, aber doch recht schüchterne und sensible Bub auf Distanz. Der Kontakt wird unter allen Umständen gemieden. "Wer einen Blick mit ihnen wechselte, war erledigt", schildert er die frühe Form der Mobbingmächte.
Schön war die Jugendzeit...
Selbst der Ort der Veranstaltung passt zu seinem Bericht wie der Schaum zum Bier. Das Langholzfuhrwerk, das seit 1947 die Wand schmückt, hat der Großvater des Referenten geschnitzt. Zudem war die gemütliche Gaststube Geier am Donnerstag randvoll, schon immer ein Treffpunkt, an dem nach getaner Arbeit ein Teil des Feierabends verbracht worden ist. Der Vater von Sepp Schindler schätzt diese Stunde am Stammtisch und stimmt gut gelaunt in der Gesellschaft gleich gesinnter Herrschaften schon mal ein Lied an: "Schön war die Jugendzeit, sie kommt nicht mehr...!" Für die harmonische Begleitmusik sorgt an diesem ansprechenden Vortragsabend Karl Dietl, Schulkamerad von Sepp Schindler, mit unvergessenen Schlagermelodien, denen Freddy Quinn, Vico Torriani oder Lolita zu hoher Popularität verholfen haben. [...] Dem Frieden traut der scheue Sepp eigentlich nie, nach dessen heutigen Erkenntnissen "99 Lehrer und ein Boder 100 Narren" ergeben. [...] Selbst der Zugang zur Mannschaft der Ministranten fällt ihm so leicht nicht. Hilfestellung ist notwendig, zumal der Knott-Pfarrer von seiner Bereitschaft so überzeugt nicht ist. "Schaut net so aus...", soll er auf die Mitteilung des Messdieners Jak entgegnet haben, dass er aufgenommen werden möchte. Auch diese Hürde nimmt der strebsame Schüler, der bald das Straubinger Internat der "christkatholischen Kadereinrichtung" besucht und nur noch die Ferien in der vertrauten Umgebung verbringen darf. Überhaupt haben Kirche, Glaube und Gebet einen außerordentlichen Stellenwert. Religiöse Rituale wie das "Mysterium vom Weihnachtsfest§, wie die Liturgie in lateinischer Sprache, wie die Demut und Reue im Beichtstuhl haben auf seine Charakter- und Persönlichkeitsbildung Einfluss genommen. [...]
Sigurd statt Schiller
Dem Bewusstsein des Knaben haben sich auch die ergreifenden Trauergottesdienste mit Chrorregenten Lanzl eingeprägt, die "ruchlose" Tat eines Orangendiebstahls, die Schlittenfahrten auf der "Stuckabahn" auf der Lerchenhaube, die bemerkenswerte Wahlwerbung eines Bürgermeisterkandidaten ("Mit Jagenlauf den Berg hinauf!") oder die Anziehungskraft der Plastiksoldaten im Schaufenster der Zeininger Res¹. Entsprechende Wünsche schlägt der "Bab" dem ältesten Sohn wiederholt ab: "Ausegwoafas Geld!" Und da ist noch die Faszination der "Heftl" mit den Hauptdarstellern Sigurd,N ick oder Tarzan, gegen die weder Goethe noch Schiller eine Chance haben.
Eine melancholische Note bekommt die Bestandsaufnahme bei der Zugabe, die der Lehrer am Neutraublinger Gymnasium nach dem ersten Beifall gibt. Er erweist Udo Kirchner die Achtung, einem sehr belesenen, intelligenten, eigenwilligen Freund, der bis zu seinem Tod im Februar 2005 im Hause Schindler oft Zuflucht gefunden hat. Der Nachruf auf den ungebundenen, unabhängigen und unangepassten Außenseiter geht Sepp Schindler sichtbar nahe.
[Sepp Raith, Donau-Post]