Papierfiguren entzückten Theaterpublikum

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Papierfiguren entzückten Theaterpublikum

Regine und Manfred Mahler präsentierten „Urfaust“– Digitale Beleuchtungstechnik

Papiertheater? Wie funktioniert das? Die Zuschauer sitzen am Donnerstagabend im Bürgersaal gespannt auf ihren Stühlen. Vor ihnen erhebt sich eine blaue Vorhangwand, die die Bühne umschließt – eine weiße Fläche, ungefähr so groß wie ein Fernsehbildschirm. Davor stehen zwei Lautsprecherboxen. Ein Zuschauer steht auf, um sich das Ganze mal von der anderen Seite anzuschauen. „Stop!“, sagt Regine Mahlers sofort, die zusammen mit ihrem Mann Manfred letzte Vorbereitungen trifft.

Dann gleiten die Papiervorhänge zur Seite, die Vorstellung beginnt. Das „Papiertheater Berlin“ präsentiert heute den „Urfaust“, Johann Wolfgang von Goethes bekanntes Drama aus dem späten 18. Jahrhundert. Es geht um den Forscher Heinrich Faust, der vieles weiß und doch sein Leben nicht genießen kann. Er lässt sich also vom Teufel verführen, der ihm die Freuden des Lebens aufzeigt und die Liebschaft zum jungen, unschuldigen Gretchen einfädelt. Und letztlich alles zerstört. So weit, so bekannt.

Das Besondere ist das im 19. Jahrhundert entstandene Medium: das Papiertheater. Die Zuschauer blicken in einen kleinen, quadratischen, schwarzen Kasten. Hinter der Vorhangwand stehen Regine und Manfred Mahler und füllen diesen Kasten mit Leben. Ihre rund 15 Zentimeter großen, bunt bemalten Papierfiguren sind auf schmale Holzleisten geklebt, mittels derer sie auf die Bühne geschoben, bewegt oder gedreht und schließlich wieder von der Bühne herabgezogen werden.

Das erfordert Augenmaß. Als sich zum Beispiel Faust und Gretchen küssen, werden die beiden Pappfiguren punktgenau zusammengeschoben, als sie später gemeinsam auf und ab flanieren, schieben und ziehen die Mahlers die Holzleisten der Figuren vorsichtig hin und her. Manchmal werden die Miniatur-„Schauspieler“ auch von oben gelenkt. Als zum Beispiel Mephisto, der Teufel, auf einem Tisch tanzt, steuert ihn Regine Mahler wie eine Marionette mit durchsichtigen Fäden. Genauso schwierig sind die Kulissen. Blitzschnell müssen die kleinen Bühnenbilder am Rande und auf der Rückseite der Bühne ausgetauscht werden, so dass binnen Sekunden neue Umgebungen entstehen. Erst sieht man eine Stadtgasse, dann schieben sich Papier-Sträucher auf die Bühne und schon befinden sich die Figuren im Park.

Kleine Scheinwerfer

Entscheidend ist auch die Beleuchtung. Über und hinter dem Kasten sind kleine Scheinwerfer montiert, die verschiedene Teile der Bühne aus verschiedenen Winkeln und in verschiedenen Farben beleuchten. Mal erstrahlt die Bühne in bedrohlichem Rot, dann wieder in beruhigendem Grün oder nächtlichem Blau. Auch einzelne Figuren können von oben oder unten angestrahlt werden. „Geht alles digital“, erklärt Manfred Mahler nach der Vorstellung und zeigt auf einen Laptop, der die Beleuchtung der Bühne ganz automatisch regelt.

Und der Ton zum Stück? Der kommt aus den beiden Lautsprechern. Regine und Manfred Mahler waren früher beim Rundfunk, beide haben für den öffentlich-rechtlichen Sender „Freies Berlin“ gearbeitet. An einem Sonntag haben sie sich mal ein Tonstudio geschnappt und dort den Ton für „Urfaust“ aufgenommen. Dem Gretchen hat zum Beispiel die Nichte einer Freundin seine Stimme geliehen, den Mephisto hat ein ausgebildeter Schauspieler gesprochen, den das Paar kennt. Dazu noch Musikpassagen, um die kurzen Pausen zwischen den Szenen auszufüllen – und fertig war der Ton für das Papiertheaterstück.

Blick hinter die Kulissen

Als das Finale des Urfaust“ mit Gretchens Erlösung am Donnerstagabend zu Ende geht, sind die Zuschauer im Bürgersaal begeistert. Dann kommen sie eilig hinter den Vorhang, um einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Regine und Manfred Mahler – zu denen übrigens Johann Festner den Kontakt hergestellt hatte – erklären den interessierten Besuchern die Bühne, die Bühnenbilder und ihre Figuren. Alles selbst gebastelt. Sogar „Spezialeffekte“ gibt es, mit einem kleinen Gerät erzeugt Manfred Mahler zischenden Nebel, der den auftauchenden Mephisto umhüllt. Die Zuschauer staunen.

Zum Repertoire des „Papiertheaters Berlin“ gehören insgesamt sieben Stücke, die allerdings alle gekürzt sind. Den Urfaust, der im gewöhnlichen Theater schon mal zwei, drei Stunden dauern kann, hat eine Freundin der Mahlers zusammengestrichen, auf 43 Minuten. „Mehr gibt so ein Papiertheater nicht her“, sagt Manfred Mahler. Problem: Die Figuren können zwar herumgehen, sich drehen, umfallen oder hüpfen. Ansonsten bleibt so eine Papierfigur allerdings immer gleich. Gesichtsausdrücke, Gesten, komplexe Handlungen – darauf muss das Papiertheater verzichten.

Doch vielleicht ist diese Schwäche zugleich die größte Stärke. „Die Zuschauer erwecken die Papierfigur in ihrer Fantasie zum Leben“, meint Regine Mahlers. Dann erzählt sie von einem vierjährigen Jungen, der die kleinen Figuren „Hänsel und Gretel“ vor der Vorstellung noch für albern hielt. „Dann hat er die böse Hexe aber gesehen und gehört – und sich so hineingesteigert, dass er sich regelrecht vor der Papierfigur gefürchtet hat.“ Nach der Vorstellung wollte ihm Regine Mahlers die Hexe zeigen. Der verängstigte Knirps lehnte ab.
[Text: Stadler, Donau-Post]

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