Schlossfestspiele: Die Tanzperformance „God is Zero – Walking on Stars“ stellt viele Fragen

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Schon die ersten Minuten machen klar, dass es heute nicht um Gewohnheiten geht. Die Tänzerinnen laufen zu Beginn durch den Raum, langsam, mit betont geraden Körpern, als hätte jemand die Schwerkraft neu justiert. Sie schauen ins Publikum, als suchten sie jemanden – Gott vielleicht? Oder sich selbst? Gott jedenfalls ist hier „null“, so der Titel des Stücks: „God is Zero – Walking on Stars“, das Eger gemeinsam mit Amalia Darie inszeniert. Ein Nullpunkt, ein Anfang, ein Nichts, aus dem alles werden kann, eine Projektionsfläche, ein weißes Blatt.

Sieben Menschen, sieben Welten

Sieben Frauen stehen im Zentrum. Ihre Wurzeln reichen vom Iran über Norwegen, Rumänien und Kroatien bis nach Deutschland. Christlich, orthodox, muslimisch – an diesem Abend blicken sieben unterschiedliche spirituelle Prägungen auf die Welt. Jede der Tänzerinnen bringt ihre eigene Welt mit, übersetzt sie in Bewegung, in kleine, choreografische Miniaturen. Mal ernst, mal spielerisch, mal mit einem Augenzwinkern.

Die Musik – oder besser: die Geräuschkulisse – ist dramatisch, fast bedrohlich. Es knistert, es rauscht, irgendwo fährt ein U-Boot vorbei, Sonar pfeift, Metall schlägt auf Metall. Ein Mann spielt den Regenstab, ein anderer schlägt die Trommel, als wolle er ein Gewitter heraufbeschwören. Inmitten all dessen sitzen vier der sieben Tänzerinnen um einen Tisch, in der Mitte ein kopfgroßer Augapfel aus Pappmaché. Es wirkt wie eine Beschwörung, ein Ritual. Das Auge wird gedreht, getragen, verhüllt, fortgetragen – als wäre es ein Geheimnis, das niemand ganz durchschauen kann, während es selbst alles sieht. Gott?

Vier Tänzerinnen sind auf der Bühne: Drei tragen eine Art Habit, ähnlich der Dienstkleidung einer Magd, in schwarz und weiß. Die Vierte trägt ein enganliegendes Kostüm, schwarz, mit goldenen Blitzen darauf. Die drei Uniformierten wispern aufgeregt immer wieder: „Sie hat mich gesehen“ – und meinen die Vierte. Plötzlich reißen sie sich um die „Andere“, scheinen sie fast zu verschlingen, ziehen sie zu Boden. Es wirkt roh, archaisch, als ginge es um Leben und Tod. Doch dann: Befreiung. Eine zweite Frau in engem Kostüm eilt herbei, hilft der ersten, opfert sich dabei. Unter dem schwarzen Kostüm des ersten Opfers kommt ein helles zum Vorschein. Licht aus der Dunkelheit? Wer eben noch begehrlich griff, hält nun Abstand, fast ehrfürchtig. Immer wieder wechseln die Bilder. Tänzerinnen wandeln in Zeitlupe von einer Seite zur anderen, verdecken ihre Gesichter mit schwarz bemalten Plakaten. Manch Solotanz wirkt wie ein ständiges Fallen. Dieser Tanz soll uns zeigen, wie es ist, Mensch zu sein: marionettenhaft ausgeliefert, getrieben, manchmal verloren. Dem Schicksal? Dem Licht? Der großen Null, pardon, dem Auge?

Niemand soll Gott spielen

Fünf der sieben Tänzerinnen tragen die Nonnengewänder, vereinen darauf schwarz und weiß, Licht und Schatten. Wenn sie mit der dunklen und die hellen Göttin tanzen, wirkt das wie Tanz um die eigene Herkunft, um die Auseinandersetzung mit Traditionen, die halten und fesseln. Das Auge taucht wieder auf, diesmal als Helm. Eine Tänzerin kniet, das Pappmaché-Auge auf dem Kopf, während die anderen verzweifelt die Hände ringen. Astronautenfunksprüche hallen durch den Raum, David Bowie singt „Ground control to Major Tom“ aus knisternder Konserve. Die helle Göttin befreit die dunkle vom Auge. Sie ringen oder kuscheln, halb liegend, halb sitzend, ineinander verschlungen auf dem Boden. Ein Spiel aus Nähe und Distanz, Yin und Yang.

Viel geschieht in Zeitlupe, viel wird angedeutet und offengelassen. Die Choreografin Ida Crusius lässt den Figuren Zeit. Dann drehen die fünf Mägde oder Nonnen ihre Tafeln um – Tarotkarten erscheinen: der Gehängte, der Teufel, die Welt, der Stern, der Narr. Schicksal, ganz plakativ. Das Megaauge schaut auf die Karten, als wolle es selbst deuten, was hier geschieht.

Am Ende ziehen sich die Tänzerinnen Straßenklamotten an, Jeans, Röcke, Lederjacken. Sie quatschen, trinken Dosenbier, sind plötzlich ganz sie selbst. Das Auge bekommt einen Platz ganz vorne an der Bühne und schaut ins Publikum zurück. Ein bisschen wirkt es, als wolle es uns sagen: „Jetzt seid ihr dran: Schaut in euch selbst, dort geht die Vorstellung weiter.“

„God is Zero“ ist kein Stück, das erklärt. Es ist ein Abend, der sich einbrennt wie ein seltsamer Traum - voller Bilder, Geräusche, Rätsel. Und wenn man die Besucher fragt, bekommt man vermutlich 40 verschiedene Geschichten erzählt.

[Text: Wolfgang Karl, Donau-Post; Bild: Lia Werth]

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