Die Zeitrasenden
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Pedalhackbrett – ein Wort, mit dem man Anstrengung verbindet. Ein bisschen Tour de France schwingt da mit. Und wirklich kommt Rudi Zapf zwischen den Stücken ganz schön ins Schnaufen, japst zwischen Ansagen nach Luft in diesem außergewöhnlichen Neujahrskonzert im Wörther Bürgersaal.
Das Instrument ist daran freilich schuldlos: Es ist eher Zapf, der in fingerbrecherischer Geschwindigkeit seine Klöppel über die Stahlsaiten tanzen lässt. Dabei malen seine Hände in den lauten Passagen ausladende Bewegungsgemälde in den Luftraum über seinem Instrument – während er in den zart klingenden, zurückgenommenen Teilen wirkt wie ein Uhrmacher, der einen wertvollen Rubin in das Lager der Unruh einsetzt.
Dabei ist Zapf stets selbst Uhrwerk und Taktgeber – wobei „Zeit“ zum relativen Begriff wird bei Multiinstrumentalist Zapf, Sunny Howard an der Violine und Gitarristin Ingrid Westermeier: Am Ende dreht sich jedes Stück einfach immer schneller, samt rasantem Schlussspurt auf der Zielgeraden. Kein Wunder, dass Zapf zwischen den Stücken Luft holen muss.
Drei Musiker, die anschieben für vier
Die Musiker lachen in echter, kindlicher Freude miteinander, wenn der Dreierbob im Grenzbereich durch eine musikalisch besonders knifflige Passage gekommen ist: Wohl auch aus echter Erleichterung, da mit dem erkrankten Bassisten Ludwig Klöckner ein Anschieber fehlt.
Grenzgänger sind Zapf, Howard und Westermeier nicht nur im Spiel, sondern auch in der Auswahl ihrer Stücke. Da es ohne Walzer ja nicht gehe in einem Neujahrskonzert, sagt Zapf, beginne man mit einem Walzer aus der Steiermark. Von da aus gehe es musikalisch nach Venezuela und zurück ins andere Voralpenland zu einem Walzer vom Tegernsee. Mühelos überspringen die drei Musiker Hunderte Jahre musikalischer Tradition, über Kontinente und Völker – von Klezmer über Irish Folk, die Klänge Brasiliens, Bayerns und der ungarischen Steppe hinweg.
Auf dem Vibrandoneon – einer Art Melodica mit der Tastatur eines Knopfakkordeons – spielt Zapf den Walzer 4 aus der Jazz-Suite Nummer 2 von Dmitri Shostakovich als seelenvolles Klagelied. „Vom Putin lassen wir uns die Tradition der russischen Musik nicht verderben“, sagt Zapf trotzig. So springen die Musiker von Shostakovich, dem zeitweise politisch Verfolgten, zu einem ukrainischen Volkslied, zurück in die Musiktradition Kareliens. Soviele Klangfarben auf Höchstgeschwindigkeit frisiert: Das zu stehen, ohne in Beliebigkeit abzugleiten, erscheint als Mammutaufgabe, die Zapf, Howard und Westermeier jedoch spielerisch meistern – samt völkerverbindendem Ansatz als frommer Neujahrswunsch.
Musik gegen den Ernst der Lage
Trotz aller – betont gekonnt vorgetragenen – Bravourstückerl nehmen die Musiker sich selbst und die Werke nicht allzu ernst. Das muss auch Johann Sebastian Bach erfahren: „Vom Bach spielen wir ein Präludium. Da habe ich früher eine halbe Stunde weitergespielt – sieben Sätze, nur Sechzehntel. Die Leute sind dann nach den ersten beiden Sätzen heimgegangen.“ Jetzt spiele man das Stück kürzer, „dafür spielen wir dann vom Bach einen Csárdás“. Auf die überraschten Gesichter, dass aus Bachs Feder ein ungarischer Volkstanz stammen soll, spricht Zapf, mit großen Augen und Unschuldsmiene: „Ja, das hat der Bach selbst gar nicht gewusst, dass er einen Csárdás komponiert hat.“ Einen Klezmer spielt Zapf dann kurzerhand auf den Außentönen seines Hackbretts, was überraschend sauber klingt, worüber er selbst erstaunt scheint.
Überhaupt: Zapfs gespielt überraschter Blick, die großen Augen, der bei jeder Bewegung leicht aufwallende Haarkranz geben ihm etwas Schelmenhaft-Hinterkünftiges, als wolle er eine Art Anti-Maestro sein, der mit den üblichen Eitelkeiten des Musikbetriebs nun so gar nichts anzufangen weiß. Das ist ebenso Markenzeichen der ganzen Gruppe, wie die Tendenz, das Tempo zum Ende eines jeden Stücks bis zum Anschlag zu steigern.
Zapf, Howard und Westermeier lassen die durchaus anspruchsvollen Stücke so leicht erscheinen, dass ihre wahre Meisterschaft im Eulenspiegel aufblitzt. Dieses Gesamtpaket entwaffnet und begeistert das Publikum: Die 70 Zuschauer folgen allen musikalischen Abstechern bereitwillig, glauben jeden Ton, klatschen, juchzen und lassen die Musiker immer wieder zur Zugabe antreten, bis diese nicht mehr so recht können.
Dieses Neujahrskonzert von Kultur in Wörth, es ist so ungewöhnlich, wie es die zurückliegenden Jahre waren. Das Jahr 2023, man möcht’ ihm ebenso schelmisch ein Schnippchen schlagen und souverän auf seinen Drahsteilen tanzen, wie Finger, Klöppel und Bogen dieser Musiker: unerschrocken und voller kindlicher Freude – welche Überraschungen das neue Jahr auch immer bringen mag.
[Text: Wolfgang Karl, Donau-Post]