Wie 1450 die Beichte in Gmünd abgenommen wurde – und was man derweil sang
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So voll war es selten bei „Reden über Wörth“, einer Veranstaltungsreihe von K.i.W., bei der neue und neueste Erkenntnisse der Heimatgeschichte diskutiert werden – verhieß doch schon die Ankündigung Infotainment vom Feinsten: spannende historische Thesen und dazu noch Live-Gesang. David Hiley ist seit 2013 emeritierter Professor für mittelalterliche Musik der Universität Regensburg. Mehr als ein viertel Jahrhundert lang hatte der Engländer zuvor die teils versunkenen Musikschätze der über tausendjährigen Regensburger Tradition gehoben und so eine einmalige Expertise über sakrale Handschriften im süddeutschen Raum erworben, stellte ihn der Wörther Professor Franz Fuchs mit freundschaftlicher Wertschätzung vor.
In einer seiner jüngsten Arbeiten befasst sich Hiley mit einer alten Handschrift, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Warschauer Nationalmuseum als „Handschrift 1304“ katalogisiert ist. Das sogenannte „Brevier“ ist eine Sammlung von Gesängen, Gebeten und Lesungen die für jeden Kalendertag eine Art frommen Stundenplan, das wöchentliche „Officium“, ergeben. 290 handbeschriebene Seiten, etwas kleiner als A4, beginnend mit Pfingsten. „Es fehlen Weihnachten bis Ostern“, berichtete Hiley. „Entweder die Seiten sind verlorengegangen, oder es war ursprünglich ein zweibändiges Werk.“
Zwei unbekannte Pfarrgesellen aus „Werd“
Die polnischen Fachleute hatten bereits aus der Machart und insbesondere aus den besonders verehrten Regionalheiligen wie St. Gallus die Vermutung abgeleitet, dass das Brevier im 13. Jahrhundert in Süddeutschland entstand und dort über Jahrhunderte in Gebrauch war – vermutlich in und um Donauwörth. Als Beleg dafür galt ihnen eine Notiz im Buchdeckel, die einer Pfarrei namens „Wert“ erwähnt, in deren Filialkirche zwei Pfarrgesellen in den Wochen vor Ostern 1450 Beichte hören. In der Nähe von Donauwörth gibt es tatsächlich eine Kirche, die Gallus geweiht ist, und die ein solches Buch quasi als Software benötigt hätte. Absolut sicher war man sich indes nicht, zumal einer der Hilfspfarrer ein Thomas Schonndorfer aus Dingolfing war und auch sonst wenig auf das Bistum Augsburg hinweist.
Hiley reiste selbst nach Warschau, fotografierte das Buch akribisch ab und kam zu einem anderen Ergebnis. Nicht im Bistum Augsburg, sondern in Regensburg sei es entstanden und benutzt worden. Im Ehrenfelser Hof in der Schwarzen-Bären-Straße von Regensburg gibt es auch eine Gallus-Kapelle. Im 13. Jahrhundert könnte dort sehr wohl ein Domherr gelebt haben, der sich für die Hauskapelle ein solches Brevier anfertigen ließ.
Die Entdeckung des „episcopus Albertus“
Den stärksten Hinweis auf die Regensburger Theorie gab indes eine weitere Notiz, die Hiley auf einer seiner Fotografien entdeckte. Zusammen mit dem Ort „Werd“ wird ein „episcopus Albert“ erwähnt, der wohl zum Fest des heiligen Dionysius dort weilte. Von seinen Historikerkollegen in Regensburg habe Hiley sich dann bestätigen lassen, dass Wörth im 15. Jahrhundert im Besitz der Regensburger Domherren war, teilweise sogar als Residenz. Den erwähnten Bischof Albert identifizierte Hiley als Albert III. von Stauffenberg, der im Jahre 1421 als Bischof von Regensburg starb.
Daraus ergibt sich für Hiley folgendes Bild: Irgendein Regensburger Domherr oder dessen Gefolge nimmt das Jahrhunderte alte Brevier mit nach Wörth. Vielleicht einmal, vielleicht öfters. Vielleicht blieb das Buch auch in Wörth, wenn auch nur zu privaten Zwecken.
Und im Frühling 1450 notierte jemand flüchtig auf dem hinteren Buchdeckel, dass von der Pfarrei Wörth aus zwei Hilfspfarrer in die damalige Expositur St. Georg in Gmünd entsandt worden sind, um den dort lebenden Gläubigen die verpflichtende Beichte vor Ostern abzunehmen: „Im Jahre 1450 war Thomas Schonndorfer aus Dingolfing Pfarrgeselle in Wörth und hat in Gmünd in der zweiten Woche vor Lätare mit seinem Partner Johannes Rietthamer aus Wörth die Beichte abgenommen.“ Als wäre das noch nicht spannend genug, ging Hiley in einen zweiten Teil seiner Ausführungen über und erklärte den Zuhörern, wie aus den hochmittelalterlichen „Neumen“ allmählich die Musiknoten wurden, wie wir sie heute kennen. Hiley stellte die Neumen als eine Art Lautmalerei dar, in der ansteigende und abfallende Striche, Punkte und Wellenlinien Tonhöhen und Längen symbolisieren. Über die lateinischen Silben notiert, entsteht so der gregorianische Choral, der gesungene Psalm.
Seit 800 Jahren wird im Bistum so gesungen
Indem er verschiedene alte Handschriften verglich, in denen stets derselbe Psalm behandelt wurde, konnte er sogar die Entwicklung von den Neumen bis hin zum heutigen Fünfliniensystem nachvollziehen. In umgekehrte Richtung gedacht sei es sogar möglich, die Melodie zu rekonstruieren, wie sie schon vor annähernd 800 Jahren im Bistum Regensburg zu hören war. Mit seinen Chorfreunden, den Regensburger Altstadtsängern, gab Hiley abschließend eine Kostprobe. Mit geschlossenen Augen ließ sich so mancher Gast von dieser Form experimenteller Archäologie hinreißen. Wären es nicht so fromme Töne gewesen, hätte man glatt eine Zugabe verlangen müssen.
[Text und Bild: Franz Nopper, Donau-Post]